Drogen (im pharmazeutischen Sinne Wirkstoffe biogenen Ursprungs) humanen Ursprungs hatten bis in das beginnende 20. Jahrhundert einen besonderen Stellenwert in der Medizin.

Die moderne, naturwissenschaftlich geprägte Medizin schreibt diesen Drogen keine messbare Wirksamkeit zu und auch aus ethischen Gründen werden diese allgemein abgelehnt. Jedoch setzten Ärzte und Patienten über einige Jahrhunderte all ihre Hoffnungen in diese Arzneimittel zur Behandlung verschiedenster Leiden.
Dies macht sie zu einem untrennbaren Teil der Medizingeschichte.


Mumia

Apothekengefäß MUMIA aus dem 18. Jh., Deutsches Apothekenmuseum Heidelberg Mûm oder môm bezeichnete in arabisch-persischen Sprachen Wachs, genauer für Erdpech oder Bitumen, welches auch heute noch für pharmazeutische Zwecke eingesetzt wird. Dieses Erdpech wurde unter schwierigen Bedingungen gewonnen und war nur Königen oder den obersten Gesellschaftsschichten zu vorbehalten. Daneben wurden seit dem 12. Jahrhundert ausgehärtete Balsamierungssubstanzen (Teere, Gummen, Harze, etc.) aus dem inneren ägyptischer Mumien in der europäischen Medizin als Arzneimittel verwendet. Die Ähnlichkeit des Erdpechs mit den Balsamierungssubstanzen fürhte zur Übertragung des Namens Mumia oder Mumie auf den balsamierten Körper selbst. Mit dieser Bedeutungsübertragung ging vermutlich auch die Vorstellung der heilbringenden Wirkung des Peches im inneren der Mumien auf den einbalsamierten Körper selbst über und womit dann auch die sterblichen Überreste selbst als Arzneimittel verwendet wurden. Aufgrund von Ausfuhrverboten durch muslimische Araber versiegte der Nachschub an Mumien ab dem 16. Jahrhundert. In der Folge blühte der Schmuggel und entstanden zahlreiche Mumienfälschungen aus Körpern verstorbener oder seltener aus Moorleichen. Mit der altertumswissenschaftlichen Entdeckung des antiken Ägyptens im späten 18. Jahrhundert florierte auch der ägyptische Mumienhandel wieder und die Anwendung von mumia vera aegyptica erreichte ihren Höhepunkt. Mumia wurde bei Gicht, Halsschmerzen, Herzbeschwerden, Husten, Kopfschmerzen, Nierensucht und Zittern verschrieben.1)2) Daneben war Mumia seit dem 16. Jahrhundert als Pigment für besonders schöne, tiefdunkle Brauntöne in der Ölmalerei bliebt, welches vor anderem von William Turner, seinen Zeitgenossen und Nachfolgern hoch geschätzt wurde.3)

 

Axungia Hominis

Albarelli AXUNG. HOMINIS aus dem 17. oder 18. Jh., Deutsches Apothekenmuseum Heidelberg Europäische Arzneibücher beschreiben axungia hominis, ausgelassenes Menschenfett, als Arzneimittel seit dem 16. Jahrhundert. Es war hochwertiger Bestandteil von Salben und fetthaltiger Arzneimittel.4) Hergestellt wurde Menschenfett meist von Scharfrichtern, die sich mit dem Auslassen des Fettes aus den Körpern ihrer Delinquenten und dessen Verkauf an Apotheken einen Nebenverdienst sicherten.5) Verschrieben wurde Axung. Hominis bei starker Abmagerung, Gicht, Knochen- und Zahnschmerzen oder Tuberkulose.2)6) Ihm wurde auch schmerzlindernde Wirkung bei Arthritis und Rheuma zugesprochen. Seit dem späten 19. Jahrhundert wurden Medikamente wie Humanol als Sterilpräparat für Injektioszwecke zur Therapie bei Narbenbildung, Wundrevision und Wunddesinfektion angeboten. Geringe Heilerfolge und Fälle von Fettembolien beendeten die Anwendung dieser Präparate in den 1920er Jahren.7) Noch bis in die 1960er Jahre waren Fettpräparate und Faltencremes auf Basis menschlicher Plazenten auf dem Markt.

 

Cranium Humanum

Der Verwendung von cranium humanum, menschlichem Schädel, in der Medizin des ausgehenden Mittelalters und vor allem der Renaissance lag die Ansicht zugrunde, dass alle Heilkraft aus der Allmacht Gottes hervorgeht, wobei der Mensch als Krone der Schöpfung und sein Haupt als dessen vornehmstes Teil besondere Heilkräfte barg. Zahlreiche Apotheker besaßen Schädel, von denen sie bei Bedarf Knochenfragmente abschabten. Cranium Humanum wurde vor allem bei Patienten eingesetzt deren Beschwerden einem Befall durch böse Mächte zugeschrieben wurden und nicht als Folge einer Strafe Gottes galten wie Epilepsie, Krampfanfälle, Lähmungen, Schlaganfälle oder außergewöhnlich starke Regelblutungen. Cranium Humanum wurde die Macht zugeschrieben Patienten von diesen bösen Mächten zu befreien.8)

 

Quellen

  1. Benno R. Meyer-Hicken: Über die Herkunft der Mumia genannten Substanzen und ihre Anwendung als Heilmittel. Dissertation Fachbereich Medizin, Universität Kiel 1978
  2. Elfriede Grabner: „Menschenfett” und „Mumie” als heilkräftige Drogen. In: Österreichische Ärztekammer (Hrsg.): Österreichische Ärztezeitung. 11. Oktober 1982, S. 1006
  3. Eintrag Mumie. In: Kurt Wehlte: Werkstoffe und Techniken der Malerei. Otto Maier, Ravensburg 1990, 1.48 Lexikalisches Verzeichnis von Pigmenten 4 Braune Pigmente, S. 133
  4. Ferdinand Giese: Chemie der Pflanzen- und Thierkörper in pharmazeutischer Rücksicht. Hartmann, Leipzig 1811, S. 337
  5. Christiane Wagner, Jutta Failing: Vielmals auf den Kopf gehacket …: Galgen und Scharfrichter in Hessen. Nidderau 2008
  6. Adolf Wuttke, Detlef Weigt (Hrsg.): Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart. Superbia, Leipzig 2006
  7. Koch: Fettembolie durch Humanolinfektion. In: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie. Nr. 186, 1924, S. 273–278
  8. Sabine Bernscheider-Reif, Timo Gruber: Cranium humanum – Heilmittel in den Apotheken des Abendlandes. In: Alfried Wieczorek, Wilfried Rosendahl (Hrsg.): Schädelkult – Kopf und Kultur in der Kulturgeschichte des Menschen. Schnell und Steiner, Regensburg 2011, S. 250-255